Stiefmutter

Eindruck aus einer Theatertherapie-Gruppe

Fr. J., eine eigentlich temperamentvolle Frau Anfang 50, ist in den ersten Wochen der Theatertherapie sehr ängstlich und zurückhaltend. Irgendwann traut sie sich und möchte an „meine Sachen“ ran. Unter anderem sei sie ständig gereizt und voller Vorwürfe ihrem Mann gegenüber, so dass es kaum noch eine entspannte Alltagskommunikation gäbe. Sie habe halt „eine Scheiß-Kindheit“ gehabt, davon sei bestimmt was übrig geblieben, vermutet sie. Nachdem wir uns erst leicht spielerisch mit der aktuellen häuslichen Situation beschäftigt haben, will Fr. J. einen Schritt weitergehen. Sie wählt eine Familienkonstellation aus, in der sie selber 13jährig ist. Eine Mitpatientin übernimmt die Rolle der Stiefmutter, eine den des Vaters. Wir spielen uns langsam an die Situation heran. In der dritten oder vierten Fassung haben wir es. Die Darstellerin der Stiefmutter traut sich nun, voll in die Rolle reinzugehen und Fr. J, die sich selber spielt, massiv abzuwerten („Du kleine Nutte“). Fr. J. spürt in sich viel Wut und kann diese ein wenig der Stiefmutter zurückgeben.

In der nächsten Gruppentherapie möchte Fr. J. weiter damit arbeiten. Wir ändern das Setting ein wenig. Es sind jetzt nur noch Fr. J. und ihre Stiefmutter auf der Bühne. Fr. J. steht nun an einem Mattenwagen und hat einen Stock. Die Stiefmutter erneuert ihre Vorwürfe vom letzten Mal und Fr. J. traut sich irgendwann ihre Wut über den Stock auf dem Mattenwagen auszuleben und dabei ihre Stiefmutter anzuschreien.

Im Nachgespräch schildert sie zum Einen ihre Erleichterung und zum Anderen die Erkenntnis, wie enorm sich ihre Wut auf den Mann aus dem Hass auf die Stiefmutter gespeist hat.

Die Darstellerin der Stiefmutter ist auch sehr berührt von der Szene (wie die meisten in der Gruppe). Sie erzählt von ähnlichen Erfahrungen mit der eigenen Mutter.